Das neue Weiterbildungsprogramm «Responsible Leadership – HSG» hat den Anspruch, Führungskräfte darin zu schulen, wie sie selbst in komplexen, schwierigen Entscheidungssituationen zu guten Entscheidungen gelangen und diese in der Organisation umsetzen können. So treiben sie positiven Wandel massgeblich voran.
HSG-Professorin Antoinette Weibel und Weiterbildungsleiterin Meike Wiemann-Hügler erläutern im Folgenden, auf welche Grundwerte sich das Programm stützt.
Wir haben das Programm stark am Leitbild der sog. praktischen Vernunft, die auf Aristoteles zurückgeht, ausgerichtet und sehen «Verantwortung übernehmen» als den zentralen Kern jeder Führungstätigkeit. Die Fähigkeit, durch das eigene Handeln zum Gedeihen des Unternehmens, der eigenen Mitarbeitenden, der Partner:innen des Unternehmens und weiteren Anspruchsgruppen beizutragen, steht dabei im Mittelpunkt.
Hierfür braucht es erstens eine hohe Sensibilität, um zu spüren und zu verstehen, was für welche Anspruchsgruppen gerade auf dem Spiel steht, wer welche Interessen hat und warum. Anspruchsgruppen sind im Unternehmenskontext zum Beispiel die Geschäftsleitung, Kund:innen, Partner:innen, Marbeitende, Investor:innen oder Talente, die ich anziehen möchte. Bedürfnisse und Ansprüche beziehen sich meist auf ökonomische, ökologische oder sozial-politische Themen und Ziele. Werte, die hier eine entscheidende Rolle spielen und von Führungskräften entsprechend gelebt werden sollten, sind Toleranz, Achtsamkeit, Empathie und Mitgefühl. Wem es gelingt, sich ehrlich in die Lage anderer zu versetzen, spürt schon intuitiv viel besser, ob und wie stark die Nöte sind, die hinter offen formulierten Ansprüchen stehen. Oder: Entdeckt auch Bedürfnisse, die gar nicht offen formuliert wurden. Und die gute Nachricht ist: Wem das Mitgefühl nicht in die Wiege gelegt wurde oder wer gar entgegengesetzt sozialisiert wurde, für den/die hat die positive Psychologie «Compassion Trainings» parat. An diesem Werkzeugkasten bedienen auch wir uns für Übungen im Rahmen des Seminars. Zusätzlich unterstützen Tools wie «Stakeholder Mapping», einen Überblick über teilweise komplexe Anspruchssituationen zwischen Stakeholdern zu erlangen.
Zweitens ist es zentral, die Fähigkeit zu besitzen, zwischen den unterschiedlichen Ansprüchen abwägen und eine moralisch vertretbare Entscheidung treffen zu können. Hierfür muss ich beurteilen können und wollen, welche Ansprüche legitimer oder drängender sind als andere. Welchen Anliegen ist hier also Vorrang zu gewähren, um eine «gute» Entscheidung zu treffen? Dieser Teil ist nicht leicht und wir entscheiden oftmals aus dem Bauch heraus und unterliegen als Menschen, wie wir aus der verhaltungsökonomischen Forschung wissen, ja vielen kognitiven Verzerrungen, sog. «Biases». Der Negativitäts-Bias sorgt zum Beispiel dafür, dass wir Negatives, das wir schon mal erlebt haben, besser erinnern können und bei Entscheidungen damit stärker gewichten als Positives. Oder die sog. «Sunk cost fallacy» führt dazu, dass wir dazu tendieren, bei Entscheidungen Wege weiter zu verfolgen, in die wir bereits Ressourcen investiert haben, auch wenn eine Umsteuerung sinnvoll oder sogar stark notwendig wäre. Was also tun, um den Blick zu weiten und möglichst klar und ausgewogen zu entscheiden? Was hier, unserer Meinung nach, hilft, ist tatsächlich eine kleine Schulung in Moralphilosophie. Für unsere Leadership-Weiterbildung haben wir die Philosophin Dr. Barbara Bleisch gewinnen können, mit den Teilnehmenden zu trainieren, wie man in Dilemma-Situationen mithilfe eines «Moralischen Prüfsystems» entscheidet. Wir können auch ihr Buch dazu «Ethische Entscheidungsfindung» an dieser Stelle nur wärmstens empfehlen. Es geht darum, Situationen aus unterschiedlichen moralphilosophischen Blickwinkeln zu betrachten und sich jeweils aus diesem Blickwinkel die Frage zu stellen, was «moralisch gut» wäre.
Das Durchspielen einer Entscheidungssituation aus allen drei moralphilosophischen Perspektiven, das heisst konkret in Hinblick auf (1.) die Folgen einer Entscheidung (Utilitarismus), (2.) allgemeingültige, moralische Grundprinzipien, denen ich dabei folgen sollte (Deontologie) und (3.) das eigene, ideale Charakterbild, das ich dadurch verkörpere (Tugendethik), unterstützt, zu einer ausgewogenen Entscheidung zu gelangen, die möglichst rational als auch werteorientiert ist. Zentrale Werte, die sicherlich bestimmend dafür sind, ob ich mich als Führungskraft in dieser Offenheit und Tiefe mit einer Entscheidung und ihrer Güte befasse, sind zum Beispiel kritisches Denken, Gerechtigkeit und Besonnenheit. Das Üben in der Abwägung von Entscheidungsoptionen wiederum unterstützt die Ausbildung dieser Werte.
Drittens kommt hinzu, ob eine Führungskraft fähig und bereit ist, alle ihr zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen in einer (ethischen) Dilemma-Situation zu erkennen und sich für diejenige zu entscheiden, die zur eigenen Identität passt, Integrität und Charakterstärke signalisiert. Der Philosoph Mark Johnson würde dies die Fähigkeit zur «moral imagination» nennen. Imaginationstechniken, zum Beispiel aus Theory U oder aus dem Bereich der logotherapeutischen Psychotherapie können dabei helfen, zu eigenen Werte und passenden Handlungsoptionen zu gelangen. Dies kann u.U. auch bedeuten, dass ich als Führungskraft vergangene Handlungen und dahinter liegende Werte hinterfragen und für die Zukunft ablehnen muss. Es bedeutet ausserdem, Kraft und Hoffnung aus den gefundenen Handlungswegen zu schöpfen und diese auch anderen zu vermitteln, sodass diese ebenfalls Hoffnung schöpfen können, auch in schwierigen Situationen gute Wege zu finden. Führungskräfte, denen eine solch tiefgründige Auseinandersetzung mit der eigenen Identität als Mensch und Führungsperson gelingt, sodass sie neue Handlungswege hervorbringen, verkörpern Werte wie kritische Selbstreflexion, Vorstellungskraft und Hoffnung.
Viertens bleibt dann noch die Herausforderung, gute Handlungen trotz Widrigkeiten umzusetzen. Im Unternehmenskontext stossen Führungskräfte hier an Hürden, wie scheinbar unumstössliche Regeln des bisherigen/alten Systems, Verständnisprobleme und Unwillen anderer Organisationsmitglieder und, vor allem, oftmals wirtschaftliche Zwänge und Shareholder Wünsche, die Veränderung und «gutes» Vorbildhandeln verhindern. Führungskräfte müssen also den Willen, die Energie und den Mut haben, das System so zu verändern, dass es die neuen Handlungsmuster zulässt. Organisationale Lerntheorie gibt hier den Hinweis, dass Menschen in der Organisation ins Erleben und Fühlen der neuen Optionen gebracht werden müssen, um die Angst davor zu verlieren und Neues während des «Tuns» zu sozialisieren. Eine vorbildhafte, verantwortungsvolle Führungskraft setzt also Veränderungen durch, um dies zu bewirken, und nimmt dabei auch Risiken in Kauf. Gelebte Werte, die dies unterstützen, sind Mut, Disziplin, Verve und Ausdauer.
Fünftens braucht es noch etwas ganz Generelles, das wichtig ist, um sich in allen, bisher genannten Aspekten verantwortungsvoller Führung, überhaupt entwickeln zu können. Das ist die Bereitschaft, bzw. sogar der Wunsch, sich als Mensch und Führungsperson stetig weiterentwickeln zu wollen und hierfür die eigene Einstellung und das eigene Handeln kontinuierlich zu hinterfragen. Gerade bei narzisstischen Führungskräften scheint es an dieser Fähigkeit zu mangeln. Denn es bedeutet, sich selbst in Frage zu stellen und auch mal zurückzunehmen. Gelebte Werte sind hier zum Beispiel Bescheidenheit und Selbstentwicklung.