Die CSR-Ideologie als Grundlage und Gradmesser für «Responsible Leadership»
Ein Beitrag von: Prof. Dr. Antoinette Weibel, Ordinaria für Personalmanagement Universität St.Gallen, Direktorin FAA-HSG
«Corporate Social Responsibility» (CSR) klingt umfassend und wichtig, bleibt aber im Kern umstritten. Verantwortung wird je nach dominanter Ideologie als Zwang, Business Case, Gesellschaftsvertrag oder raison d’être gedeutet – mit sehr unterschiedlichem Ausgang. Für Führungskräfte die «Responsible Leadership» anstreben, ist daher entscheidend zu erkennen, wo man steht, kritisch zu reflektieren und gezielt weiterzuentwickeln.
CSR klingt verheissungsvoll. Archie Carroll definierte es einst so: „Die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen umfasst die ökonomischen, rechtlichen, ethischen und freiwilligen Erwartungen, die die Gesellschaft an Organisationen richtet.“ Doch Worte, wie diese, sind schnell gesagt, die Umsetzung erweist sich jedoch als weitaus schwieriger. Forschung zeigt: Allzu oft bleibt CSR im Virtue-Washing stecken oder reduziert sich auf einen reinen Business Case. Doch kann das dann noch Verantwortung heissen? So sollten Führungskräfte, die verantwortliches Handeln anstreben, sich mit der gelebten CSR-Realität in ihren Unternehmen auseinandersetzen.
Ein möglicher Ausgangspunkt ist das Maturitätsmodell von Maon, Lindgreen und Swaen (2010). Es beschreibt sieben kulturelle Entwicklungsschritte in der CSR-Praxis von Unternehmen, von der Abwehr, über Pflichtbewusstsein, bis hin zu tatsächlicher Transformation. Damit können Führungskräfte eine Standortbestimmung vornehmen und Unternehmen eine Diagnose erhalten. Was dem Modell allerdings fehlt, ist die stille Hintergrundvariable: Unternehmen handeln nie ideologiefrei, und ebenso wenig sind ihre CSR-Verständnisse neutral. Warum sehen CEOs ihre Interpretation oft als die einzig richtige? Weil wir alle in einer Ideologie verankert sind – als Weltsicht und handlungsleitende Logik.
Vier Verständnisse von Verantwortung
So lassen sich vier Verständnisse von Verantwortung unterscheiden. In einer autoritären Logik bedeutet CSR vor allem Zwang: Compliance, Risikoschutz, Regeleinhaltung. Die Welt gilt hier als gefährlich und kontrollbedürftig, Verantwortung reduziert sich auf das Vermeiden von Strafen und Selbstschutz. James Johnston von R.J. Reynolds brachte es prägnant auf den Punkt: „We support the law, and that is our responsibility.“ Gerade in Krisenzeiten fallen selbst aufgeklärte Unternehmen schnell in dieses Muster zurück.
Die neoliberale Logik betrachtet CSR hingegen primär als Business Case. Verantwortung ist dann gut, wenn sie Wachstum fördert, Reputation stärkt oder Talente bindet. Die Welt erscheint als permanenter Wettbewerb, in dem Erfolg durch Leistung legitimiert wird. Jeff Bezos formuliert es so: „Your margin is my opportunity.“ Verantwortung wird hier also zum Nebenprodukt von erfolgreichem Wirtschaften. Diese Haltung prägt heute grosse Teile der Unternehmenspraxis, hat aber Grenzen: Sie trägt nur bei stabilen Märkten und klaren Win-win-Situationen.
Die sozialdemokratische Logik versteht CSR dagegen als Gesellschaftsvertrag. Gesellschaft ist Gemeinschaft mit gleichen Rechten und Pflichten, Unternehmen sind Teil davon. Verantwortung bedeutet in diesem Verständnis, Schäden zu vermeiden, Rechte zu achten und Profit in Balance mit gesellschaftlichem Beitrag zu bringen. Paul Polman, ehemaliger Unilever-CEO, betonte dazu: „Business cannot prosper in a world that fails.“ Dieses Verständnis erfordert eine langfristige Perspektive und starke Beziehungen zu Stakeholdern.
Schliesslich gibt es die post-liberale Logik, in der Unternehmen als Orte gemeinsamer Entfaltung verstanden werden. CSR wird hier zum raison d’être: Es geht um Ko-Kreation, regenerative Wirtschaftsweisen und Produkte mit Sinn. Rose Marcario von Patagonia formulierte es radikal: „We're in business to save our home planet.“ Dieses Verständnis setzt ein Umdenken voraus, das nicht nur die Geschäftspraxis, sondern auch die Geschäftsmodelle grundlegend verändert.
Der Dreischritt für Manager
Für Führungskräfte stellt sich die Frage: Wie lässt sich die ehemalige Verheissung von CSR einlösen? Der Weg führt über Diagnose, Kritik und Entwicklung. Zuerst gilt es, ehrlich zu bestimmen, wo man steht: Welche CSR-Themen landen im Vorstand – und warum gerade diese? Wann wurde zuletzt ein Nachhaltigkeitsprojekt wegen mangelnder Rentabilität gestoppt? Wie reagiert man auf Stakeholder-Kritik – defensiv, strategisch oder dialogorientiert? Und wie decken sich interne Erfahrungen mit dem offiziell kommunizierten Purpose?
Darauf folgt die kritische Reflexion: Welche Stakeholder werden überhört, welche Themen systematisch vermieden? Wo entstehen unbeabsichtigte Schäden, und welche Widersprüche bestehen zwischen Anspruch und Realität? Wie authentisch ist das eigene CSR-Verständnis tatsächlich?
Erst auf dieser Basis ist Entwicklung möglich. Dabei geht es nicht um sofortige Transformation, sondern um realistische Schritte: vom Zwang zum Business Case durch Pilotprojekte mit messbarem Nutzen; vom Business Case zum Gesellschaftsvertrag durch echten Stakeholder-Dialog; vom Gesellschaftsvertrag zur Transformation durch Integration des Purpose ins Geschäftsmodell. Jede Stufe hat ihre Berechtigung, Rückfälle sind möglich, und nicht jede Logik passt zu jeder Branche oder Unternehmensphase. Entscheidend ist die bewusste Weiterentwicklung – nicht das schnelle Etikett.
Eine tabellarische Übersicht über ihre Charakteristika macht diese vier Logiken erkennbar und vergleichbar. Eine vergrösserte Ansicht der Tabelle finden Sie hier:
Glossar